Donnerstag, 16. August 2007

Ihr habt den FARBfilm vergessen!

Ihr habt den FARBfilm vergessen!

Rede von Pierre Sanoussi-Bliss auf dem Integrationsgipfel bei Angela Merkel 2006
(leicht gekürzt)

Nun stehe ich hier und habe das Gefühl darüber reden zu sollen, wie unwohl ich in meiner Haut fühle. In meiner schwarzen. Obwohl... Heiner Müller liess den schönen Neger Aaron in "Anatomie Titus" sagen : "Mehr oder weniger Neger, je nach Beleuchtung". Recht hat er. Passiert mir im Winter auch ziemlich oft, dass ich grau am Flughafen sitze und weisse Menschen aus den Urlaubsbombern steigen, die um einiges schwärzer sind als ich. Mehr oder weniger Neger, je nach Urlaubsort.

Ich fühl mich doch gottverdammt wohl in meiner Haut! Würde ich sie sonst zu Markte tragen? Oder habe ich nur aus der Not eine Tugend gemacht, wie mir oft unterstellt wird? Exoten in den Zirkus?
Nein, das schick ich jetzt mal voraus : Ich schaue eigentlich ganz gern in den Spiegel (muss ja nicht nach einer durchfeierten Nacht sein).

Und trotzdem habe ich seit einiger Zeit das Gefühl, ein Problem zu haben. Ich habe mir, da Mitglied der Jury für die Lola, den deutschen Filmpreis, in der letzten Zeit etwa 60 deutsche Filme angeschaut. Das macht nicht unbedingt froh. Aber was mich wirklich traurig stimmt ist, in nicht einem dieser Filme mitgespielt zu haben und auch sonst taucht kein Leidensgenosse meiner Hautfarbe dort auf. Alles ist wie mit Persil gewaschen : Reinweiss...
Wo sind Charles Muhammed Huber, Karin Boyd, Dennensch Zoude, Carol Campbell, Tyron Ricketts, Chantal de Freitas, Michael Breitsprecher, Nino Sandow, Ron Williams, Sheri Hagen, Lusako Karonga, Günther Kaufmann und Aloysius Itoka? wo? Ich könnte diese Liste noch um einige Namen verlängern. Mit unserer Hautfarbe leben mehrere hunderttausend Mitbürger in diesem Land und es gibt eine grosse Zahl an Künstlern, die hier ihr Glück versuchen. Zugewanderte, oder wie ich, hier geboren.

Meiner Agentin, die sich sehr um Rollen für mich bemüht, wurde einmal, als es um eine bestimmte Rolle ging, gesagt, das deutsche Publikum akzeptiere eine farbige Hauptfigur nicht. Die Leute, die sowas sagen nennen sich hochtrabend Producer und wissen natürlich genauestens über die Befindlich- keiten aller Film- und Fernsehkonsumenten dieses unseren Landes Bescheid. Wir können stolz auf sie sein. So ist wenigstens im Dschungelcamp mal ein Farbiger dabei. Holla, die Waldfee! Wie gewagt!

Aber mal langsam... Vielleicht sollte das Ganze hier nicht in Medienschelte ausarten. Man beisst ja nicht die Hand die einen füttert, bzw. von der man gern gefüttert würde. Sie kann einen ja auch am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Die Hand.

Andererseits, wieso eigentlich nicht mal so ein bisschen auf die Kacke hauen, wo ich doch einen Serienvertrag bis zum Jahresende in der Tasche habe.

Ich kann ja einfach nur mal so ein paar Dinge aus meiner beschränkten Sicht beschreiben, ohne mich hinter politisch korrekten Floskeln zu verstecken. Politische Korrektheit ist eine Form der Zensur, die jene Dinge, die NICHT korrekt sind verschweigt... Schöner Satz und er stimmt auch noch!

Also: Nochmal. Ist es politisch korrekt, dass die meisten Filme im deutschsprachigen Raum wie mit Persil gewaschen wirken? Reinweiss? Dabei heisst es FARBfilm!

Ist es politisch korrekt, dass meine Agentin Margarita Kling, auf die Bitte, mich in diesem oder jenen Film zu besetzen, die Antwort bekommt: "Was soll`n wir denn mit `nem Mulatten?"

Ist es politisch korrekt, dass ich durch gängige Besetzungspolitik in deutsche Filmen 15 Jahre gebraucht habe, um die Voraussetzungen zu erfüllen, in die deutsche Filmakademie aufgenommen zu werden, weil man in DREI Kinofilmen mitgespielt haben muss? Es werden ca. 80 Filme jährlich in Deutschland produziert...

Ist es politisch korrekt, das Regisseure zu mir sagen: "Du, ich würd dich schon gern mal besetzen, wenn für dich was dabei ist" und es dann doch nie dazu kommt, weil sie darauf warten, dass hinter dem Rollennamen im Drehbuch in Klammern "ein Farbiger" steht?

Was spricht dagegen, als Klempner, Wissenschaftler, Unidozent, Öko-Bauer, Liebhaber, Schwarzfahrer oder Schwarzwaldklinikarzt oder sonstwas besetzt zu werden, ohne gebrochen Deutsch sprechen zu sollen?

Warum wurden mir in meiner Laufbahn sehr oft Mörder, Dealer und andere Aussenseiter- rollen angeboten? Weil morden und dealen nun mal alle Menschen machen, die so aussehen wie ich?
Steckt mehr dahinter, weil DASS das Bild ist, welches man in der Öffentlichkeit, durch die Medien und Politik lanciert, sehen will? Soll?

Gehen die Leute etwa in Filme in denen Denzel Washington, Wesley Snipes, Halle Berry, Morgan Freeman usw. mitspielen, weil sie gezwungen werden?

Reichen Millionen Mitbürger anderer Farben und Kulturen hierzulande nicht aus, um sie auch in Film und Fernsehen vorkommen zu lassen UND zwar als das, was sie grösstenteils sind?

Nämlich intelligente, gebildete, akzentfrei sprechende Wesen in normalen Berufen, mit einer fundierten Ausbildung und Sorgen und Nöten, die sich von denen ihrer vermeintlich hochrassigen Mitbürger kaum oder gar nicht unterscheiden.

Ich habe in Filmen gespielt, wo auf Drängen der Produzenten Sätze wie "Sie sprechen aber gut deutsch", "Ja, ich habe in Deutschland Germanistik studiert" in die Drehbücher eingefügt wurden, weil meine akzentfreie Darbietung beim Publikum angeblich Fragen aufwerfen würde... Ja, für wie blöd halten denn manche Medienmacher die Leute? Ich bin doch kein Alien, sondern nur Berliner, schwarz und Ossi...

Wie kann es sein, dass einer meiner talentierten türkischen Schauspielkollegen sich zum "Neger" machen muss, indem er auf Messen als übergrosse Kaffeetasse herumsteht, weil Film- und Fernsehangebote ausbleiben, bei DEM, was an Türken durch Deutschland und Europa wuselt?

Wie kann es sein, dass eine meiner farbigen, deutschen, talentierten Kolleginnen von einer meiner farbigen, deutschen und talentierten Kollegin eine Rolle im Fernsehen nur unter der Bedingung übernehmen kann, wenn der Rollenname nicht geändert wird, weil die Umbesetzung ja so richtig `eh keiner merken würde...?

Warum haftet uns immer noch die Bezeichnung "exotisch" so an? Vor 100 Jahren konnte man das sicher noch verstehen. Aber heute? Sind denn nicht Leute wie Daniel Küblböck, Desireè Nick oder Ferfried und Tatjana viel exotischer als ich und warum sind DIE dann sendefähiger? Wegen Talentfreiheit?

Ich, wir, wir anderen brauchen keine extra Drehbücher. In ALLEN Drehbüchern sind Rollen für uns drin. Selbst, wenn es nicht in Klammern dahinter steht und nur die Hauptrolle ist. Es muss ja nicht gleich die Rolle des Bürgermeisters sein. Andererseits, warum eigentlich nicht?

Wir sind nämlich stinknormale Menschen, die zum stinknormalen Alltag dazu gehören. Wäre schön, wenn AUCH UND GERADE Filmstudenten nach ihrem Studium nicht so schnell vergessen würden mit wem und in welchem Umfeld sie 3 oder 4 Jahre hübsch rumgesoffen haben...

Sicher ist man nach diesem Studium erst recht nicht mehr unabhängig und schon allein der Druck der Quote und die Verdammnis zum Erfolg sind in der Filmbranche, wie in jeder anderen auch, nicht zu unterschätzen. Aber wenn ein Film nicht den gewünschten Erfolg hat, liegt es meistens erst einmal daran, dass das Drehbuch oder der Sendeplatz oder was auch immer, mit Verlaub, Scheisse war und nicht, dass eine der tragenden Rollen mit einem weissen, schwarzen, gelben, roten oder grünen Schauspieler besetzt war. Bei E.T. hat es ja auch geklappt. Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass es gut gespielt ist...

Unsere multikulturellen Gesellschaften würden im Ganzen davon profitieren, wenn die Filmemacher und die vielen Medienverantwortlichen ihr Brett vorm Kopp wenigstens mal mit Politur behandeln würden.

Wir sind Möbel, die auch in dieses Haus gehören. Die schön sind und kostbar und die man gern in der Wohnung SIEHT und VORZEIGT und die ab und an mal Pflege brauchen, sonst ist früher oder später der Wurm drin. Sie verrotten oder brechen zusammen... Und damit meine ich nicht nur französische Vorstadtstühle oder Schülersitzgelegenheiten in der Berliner Rütli-Schule.

Nun finde ich, ist es doch an der Zeit zu zeigen, was uns eint und nicht ständig und ausschliesslich die Unterschiede herauszukehren.

Gemeinsamkeiten aufzeigen geht nämlich auch vorzüglich zur Primetime in jeder x-beliebigen Vorabendserie, in der ein asiatisch-, isländisch-, afrikanisch- oder arabisch aussehender Schauspieler besetzt ist ohne (und ich betone OHNE) das die Rolle irgendeinen Bezug darauf nimmt.

Lasst uns auch in den Medien Normalität demonstrieren und einklagen! Seine Wurzeln muss man ja deswegen nicht verleugnen. Wir haben es doch wirklich erst geschafft, wenn wir in Deutschland endlich mal eine Farbige oder nicht rassig-deutsch aussehende Nachrichtensprecherin haben, die uns zur Hauptsendezeit erzählt, was auf der Welt so los ist... Und das nicht als "Quotennegerin" im Nachtprogramm. Arabella Kiesbauer kann ja nicht schon alles gewesen sein...

Ich glaube, dass hier auch die Medien- und Filmemacher eine Aufgabe haben. Erst recht im öffentlich-rechtlichen Bereich. Dann läuft eben 20.15 Uhr mal ein Film mit drei, vier, fünf farbigen Hauptfiguren, die nicht nur Deutsche spielen, sondern sind und dafür müssen, wie gesagt, keine extra Drehbücher entwickelt werden. Es eignet sich JEDES. Und auch die Oberbeleuchter des Filmes werden NICHT vor unlösbaren Aufgaben stehen, wenn wir mal vor einem dunklen Hintergrund vorbeilaufen. `Ne ordentliche TV-Schmonzette zur besten Sendezeit... Das wär doch mal was. Man sollte den Zuschauer nicht unterschätzen. Er hätte nach 3 Minuten vergessen, welche Hautfarbe der Hauptdarsteller hat, wenn Probleme und Situationen gezeigt werden, in denen er sich wiederfindet. Klappt bei Will Smith ja auch ganz gut.

Ich bin jemand, der sehr dafür plädiert, nicht alles, was mir im täglichen Einerlei an Unbill passiert, auf mein vermeintliches Anderssein, meine Hautfarbe zu beziehen. An meinen schlechten Tagen bin ich nun einfach nur mal ein "blöder Neger" und muss den Leuten (fast) auch zugestehen, genau DAS zu denken.
Ich höre jedes Jahr auf`s neue 50mal den blöden Witz, "Na, wohl zu lange in der Sonne gelegen?".
Ich höre lächelnd darüber hinweg und denke mit einem kräftigen Schuss Arroganz: "Da wo ich in der Sonne gelegen habe, da kommst du dein Leben lang nicht hin". Abgehakt.

Ich erzähle das um zu zeigen, ich bin `ne stinknormale Type und möchte auch als solche behandelt werden und es wäre schön, wenn sich das auch auf beruflicher Ebene herumsprechen würde.

Angst macht mir da schon wieder ein Interview, welches Spike Lee letztens der "Zeit" gab. Auf die Frage: "Wo ist das New Black Cinema geblieben, das in den Achtzigern antrat, die Schwarzen im amerikanischen Kino sichtbar zu machen?" antwortete Lee : "Oh. Schlechtes Thema. Es gab diese schwarze Welle. Leider ist sie ein wenig verebbt. Ziemlich verebbt. Es gibt durchaus mehr afro- amerikanische Regisseure. Aber nicht genug politische Power. Es werden blöde Komödien, Gangsta-, HipHop- und Drogenfilme gedreht. Wann haben sie je einen Film über die schwarze Mittelklasse gesehen? Warum sind die Schwarzen im Mainstreamkino entweder gehirnamputierte Clowns oder Zuhälter oder Rapper? Heute hat man die Dreistigkeit einen Film wie `Cold Mountain` zu drehen. Einen Film, der im 19. Jahrhundert in den Südstaaten spielt, in dem Nicole Kidman im Spitzenhäubchen zu sehen ist und in dem kein einziger Schwarzer auftaucht. Und keiner hat sich aufgeregt. Wahnsinn."

Tja, lieber Spike, liebe Zuhörer, willkommen in Deutschland Achtzehnhundertspitzenhäubchen! Glauben sie wirklich, dass ein paar Fussballspiele zur WM daran irgendetwas ändern?

GESAMTER WORTLAUT auf www.sanoussi-bliss.de